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Gute Nachricht: Trotz ist keine Phase, sondern ein lebenslanger Lernprozess

Das Wort „Trotz“ in einer Überschrift zieht Eltern und Fachkräfte oft magisch an. Es verbindet uns mit einem Zustand der Kinder, den die meisten nicht mögen. Wenn Kinder „trotzen“ fühlen wir uns oft hilflos. Plötzlich läuft nichts mehr nach Plan, es ist laut, manchmal recht körperlich und vor allem anstrengend.

Auch wenn das Wort „Trotz“ immer wieder überall zu lesen ist, empfinde ich das Wort für die Beschreibung des Verhaltens von Kindern als eher unpassend. Das Wort hat für mich eine negative Konnotation. Es impliziert im alltäglichen Gebrauch schnell, dass ein Kind eine unangebrachte Sache grundlos durchsetzen will, anstatt sich anzupassen und Rücksicht auf uns Erwachsene zu nehmen.

Der Wortstamm „trutz“ heißt jedoch eigentlich „sich wehren“ und beschreibt die seelische Abwehrhaltung gegenüber einer fremden Autorität, die häufig mit Affektausbrüchen (Wut) verbunden ist. In diesem Sinne kann ich mit dem Wort eigentlich doch wieder ganz gut leben.

Eine weitere sprachliche Eigenheit ist für mich, dass oft von der „TrotzPhase“ gesprochen und geschrieben wird. Hingegen lese und höre ich z.B. nie „StolperPhase“, wenn ein Kind laufen lernt. Beim Laufen ist es recht einleuchtend, dass es um einen neuen Entwicklungsschritt geht, der freudig begrüßt und begleitet wird. Auch gehen wir nicht davon aus, dass das Laufen nur eine Phase ist, die hoffentlich bald wieder aufhört. Klar wünschen wir uns, dass die Kinder irgendwann sicher und alleine gehen können und dass das Stolpern und Fallen weniger wird. Laufen ist für die Selbständigkeit und Freiheit eines Menschen wichtig und das Stolpern und Fallen gehört einfach dazu.

Trotz ist für mich ein lebenslanger Lernprozess bzw. ein natürlicher gesunder Impuls des MenschSeins. Dennoch gibt es bestimmte Zeiten im Leben, in denen dieser Lernschritt besonders im Vordergrund steht.

Laut Literatur ist das bei vielen im Alter von ca. 2-5 Jahren und dann wieder von ca. 12-15 Jahren vornehmlich der Fall. Ich beobachte jedoch häufig und besonders in meiner Generation, dass es noch weitere dieser „Trotzphasen“ gibt, die in der Literatur aber meist als Midlife-Crisis oder ähnliches bezeichnet werden.

Die „TrotzPhase“ nenne ich daher viel lieber Willens-, Selbständigkeits- oder AutonomieEntwicklung.

Das Wort „Phase“ passt für mich in diesem Zusammenhang einfach nicht. Denn wer wünscht seinem Kind Willen, Selbständigkeit oder Autonomie nur für eine kurze Phase in der Kindheit?! Und wieso erwarten wir oft, dass Gefühle im Gegensatz zur Motorik einfach von heut auf morgen fein justiert eingesetzt werden können.

Um das Verhalten von Kindern in „Trotzmomenten“ zu verstehen, hilft manchmal ein bisschen Wissen aus der Hirnforschung, der Pädagogik oder der Entwicklungspsychologie. Auch die Erfahrung anderer Eltern kann auf dem eigenen Weg von der Erziehung zur Beziehung heilsam sein. Wirkliche Erleichterung und Freunde erlebe ich selber aber dann, wenn ich in Momenten des „Trotzes“ anfange selber zu fühlen, was gerade wirklich bei mir und meinem Kind passiert und was mir meine Beziehung zu meinem Kind gerade mitteilen möchte. Natürlich ist das in diesen Momenten nicht immer ganz leicht. Was mir jedoch immer hilft, ist mir grundsätzlich immer wieder klar zu werden, was meine persönlichen Werte im ZusammenSein mit Kindern sind, um Sie dann in Momenten der eigenen Hilflosigkeit und Überforderung parat zu haben.

Was ich mir für meine Kinder wünsche, ist, dass Sie klar sagen dürfen, wenn Sie etwas nicht wollen oder mögen.

Und ja, zunächst schreien Sie dies noch unglaublich gut hörbar in die Welt hinaus. Ich freue mich, wenn Sie mir ein eindeutiges Signal geben, wenn ich Verantwortung für Sie in Bereichen übernehme, wo sie nun bereit sind, Ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Auch dieses Signal ist für mich oft irgendwie unerwartet und zu laut, aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich manchmal zu lange nicht richtig zugehört habe. Natürlich möchte ich, dass meine Kinder genauso mich mit meinen Wünschen und Bedürfnissen kennen lernen und wir langfristig gemeinsam Wege finden, die ohne großes Wutgeschrei für alle annehmbar sind. Und ja, ich glaube daran, dass das langfristig tatsächlich geht, wenn sich jedes Familienmitglied als autonomes, selbstwirksames und wertvolles Lebewesen erfährt. Und genau hier ist für mich der Casus knacksus der „Trotzphase“ versteckt.

Denn, verstehe ich die Willens-, Selbständigkeits- oder AutonomieEntwicklung nicht als Phase, wird mir persönlich schnell bewusst, dass ich mich selber noch immer in diesem Lernfeld bewege.

Als mein Sohn das erste Mal schreiend im Supermarkt auf dem Boden lag, spürte ich in jeder Faser meines Körpers meinen eigenen Willen und hatte Angst um meine eigene Autonomie. Ich fühlte mich von meinem Kind mit meinem Bedürfnissen, Werten und persönlichen Grenzen nicht gesehen und hatte zusätzlich sogar noch Angst, dass die Menschen um mich herum denken könnten, ich sei noch nicht SelbstStändig genug, um gut für mich und meinen Sohn zu sorgen. Und ja, das stimmte! Auch ich lerne ein Glück noch, TROTZ meiner diversen psychologischen und pädagogischen Ausbildungen und Selbstfindungsseminaren jeden Tag mehr ein selbständiges und autonomes Wesen zu werden.

Was ich mittlerweile aber schon viel gelassener kann, ist die Gefühlsäußerungen meiner Kinder, meiner Mitmenschen und vor allem auch meine eigenen liebevoll anzunehmen und dadurch entspannter begleiten zu können. Dabei hilft mir durchaus zu wissen, dass es meinen Kindern gerade in Krisensituationen oft unmöglich ist, sich an meine Wünsche und Bedürfnisse anzupassen und vor allem sich empathisch in mich oder andere hinein zu fühlen.

Wir Erwachsene sind unseren Kindern im Optimalfall in der EmpathieEntwicklung ein paar Schritte voraus.

Ich beobachte, dass große emotionale Gefühlsausbrüche meist dann auftreten, wenn meine Kinder bereits viel mit meinem Tagesplan oder dem der Kita kooperiert haben. Wenn dann etwas scheitert, was sonst schon ganz alleine klappt, ich etwas will, was sie gerade nicht wollen oder in der Welt eine Veränderung auftritt, die so nicht vorhersehbar war, dann geht manchmal gar nichts mehr und sie brechen mit vielen lauten Emotionen vor mir auf dem Boden zusammen. Und ihnen ist dabei egal, wo wir gerade sind. Ihre Emotionen lassen sich nicht aufschieben oder auf später vertagen. Eine rein kognitive Regulation ist in diesem Alter entwicklungsbedingt einfach noch nicht möglich. Dies zu lernen, braucht oft ein Leben lang.

Die Erkenntnis, dass der Umgang mit starken Emotionen nicht in einer kurzen Phase erlernt werden muss, sondern wir und unsere Kinder dafür ein Leben lang Zeit haben, ist für mich als Mutter wirklich eine gute Nachricht. Denn ich fühle mich mal wieder von einem Erziehungsmythos befreit, der mir am Anfang im ZusammenSein mit meinen Kindern tatsächlich ganz schön viel Druck und Kopfzerbrechen bereitet hat.

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Mehr über meinen eigenen Weg von der Erziehung zur Beziehung, kannst Du hier lesen!

 

Über die Autorin:

Julia Stoch ist 39 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern (3 und 5 Jahre). Sie lebt und arbeitet in München. Sie ist Dipl. Psychologin, Lernbegleiterin für das Kleinkindalter, familylab-Seminarleiterin, Coach in der „Kunst des Zuhörens“ und Entspannungspädagogin. Sie begleitet Familien und Kitas auf Ihrem Weg von der Erziehung zur Beziehung. www.lebensraumkita.de www.lebensraumfamilie.de

 

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